Mit Ich und meine Angst erzählt Autorin Francesca Sanna die Geschichte des namenlosen Mädchens aus ihrem Debüt Die Flucht* weiter. Das Mädchen führt ein ganz normales Leben – bis der Krieg beginnt, der alles Normale mit sich reißt. Das preisgekrönte Werk beschreibt sehr eindrucksvoll aus der Sicht des Kindes, wie sich eine Flucht anfühlen muss. Alles hinter sich zu lassen, ohne zu wissen, was einen erwartet. Nicht viel mehr im Gepäck als Hoffnung.
„Sie zeigt uns Bilder von fremden Städten, fremden Wäldern und fremden Tieren. Und dann seufzt sie: ,Da gehen wir hin, da müssen wir keine Angst mehr haben.’“ (aus: Die Flucht von Francesca Sanna)
In der sicheren neuen Heimat angekommen, muss das Mädchen tatsächlich keine Angst mehr vorm Krieg haben. Dafür wächst aber eine andere Angst und übernimmt Stück für Stück die Kontrolle über sie.
In einem fremden Land
„Ich habe immer schon ein Geheimnis gehabt: eine winzige Freundin namens Angst.“
Zu Beginn des Buches wird die Angst des Mädchens als kleines weißes Wesen dargestellt, das immer an ihrer Seite ist. Die Angst engt sie aber nicht ein. Im Gegenteil, sie passt auf sie auf und beschützt sie. Sie sorgt dafür, dass das Mädchen weiß, wann es gefährlich wird und wann sie aufpassen muss.
„Aber seit wir in dieses neue Land gekommen sind, ist die Angst nicht mehr so klein. Sie wächst und wächst.“
Das Mädchen würde gerne ihre neue Umgebung kennenlernen – aber die Angst hindert sie. Die Darstellung der Angst ist entsprechend groß: aus der kleinen weißen Gestalt ist etwas Riesiges geworden. Nicht unsympatisch dargestellt, eher beschützend. Dabei aber sehr einengend und umklammernd. Die Angst mag weder die neue Schule noch die anderen Kinder. Das Mädchen fühlt sich allein und unverstanden.
„Doch dann: Ein Junge aus meiner Klasse will mir etwas zeigen.“
Und dann zeichnen sie zusammen. Einfach so. Das Mädchen nimmt ihre Angst Huckepack und traut sich, in der Pause gemeinsam mit dem Jungen hinauszugehen. Überrascht stellt sie fest, dass sie nicht die Einzige mit einer geheimen Angst ist. Mit dieser Erkenntnis wird die Angst jeden Tag kleiner und das Mädchen öffnet sich für ihr neues Leben.
Ein berührendes Buch
Mich hat Ich und meine Angst sehr berührt. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin sich intensiv mit ihrem Thema auseinandergesetzt hat. Zum einen, weil sie selbst mit ihren Ängsten zu kämpfen hat, wie sie in der Nachbemerkung verrät. Zum anderen aber, weil sie mit Kindern, die in einem für sie fremden Land leben, über deren Ängste gesprochen hat. Diese Erfahrungen spiegeln sich in den sehr eindrucksvoll und zugleich behutsam gestalteten Illustrationen wider. Es wird sehr anschaulich deutlich, dass Angst zum Leben dazu gehört. Dass sie eine Berechtigung hat und zu unserem Schutz dient. Dass es aber schwierig wird, wenn die Angst Überhand nimmt und unser Handeln dominiert. Kurzum: Dieses Buch ist ganz wunderbar und es eignet sich meiner Meinung nach gleichermaßen für Kinder, die in einem fremden Land groß werden als auch für Kinder, die in ihrer Heimat leben dürfen. Denn vielleicht bestärkt es Kinder darin, sich zu verhalten, wie der kleine Junge im Buch. Und wer weiß: vielleicht sollte auch manch Erwachsener einen Blick in dieses Buch riskieren und die eigene Angst vorm Fremden herunterschlucken und verstehen, dass die Angst auf der anderen Seite um ein vielfaches größer ist.
Buchinformationen
Francesca Sanna: Ich und meine Angst
Mit Illustrationen der Autorin
NordSüd Verlag, Zürich 2019
Hardcover, 40 Seiten
Ab 4 Jahren
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Klappentext
„Ich habe schon immer ein Geheimnis gehabt: eine winzige Freundin namens Angst. Aber seit wir in dieses neue Land gekommen sind, ist die Angst nicht mehr so klein. Sie wächst und wächst. Die Angst hasst meine neue Schule. Ich verstehe niemanden, und niemand versteht mich.“
Francesca Sanna schließt mit dieser einfühlsam erzählten Geschichte an ihr erfolgreiches Debüt „Die Flucht“ an und zeigt auf, dass wir Zuspruch und Freundschaft finden können, wenn wir es wagen, über unsere Ängste zu sprechen.
Ich und meine Angst
Anmerkung: Das Buch „Ich und meine Angst“ wurde uns freundlicherweise als Rezensionsexemplar vom NordSüd Verlag zur Verfügung gestellt.
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