Mitten im Münchner Stadtteil Obermenzing liegt Schloss Blutenburg. Malerisch ist es hier. Die alten Schlossgemäuer sind gut abgeschottet von der Hektik des Verkehrs. Eingerahmt von der Würm und hochgewachsenen alten Bäumen beherbergen sie die Schätze der Internationalen Jugendbibliothek München. An einem sonnigen Herbstnachmittag war ich zu einem Bloggerrundgang eingeladen und möchte gerne meine Eindrücke mit euch teilen.

Über die Internationale Jugendbibliothek München

Die Internationale Jugendbibliothek ist weltweit die größte Bibliothek für internationale Kinder- und Jugendliteratur. Sie wurde im Jahr 1949 von Jella Lepman gegründet. Die jüdische Kinderbuchautorin und Journalistin war 1945 im Auftrag der amerikanischen Besatzungsmacht als Beraterin für „die kulturellen und erzieherischen Belange der Frauen und Kinder in der amerikanischen Besatzungszone“ aus dem englischen Exil zurückgekehrt. Sie machte es sich zur Aufgabe, sich um die durch den Krieg traumatisierten und durch die nationalsozialistische Erziehung indoktrinierten Kinder und Jugendlichen zu kümmern. Sie rief internationale Verlage zu Buchspenden auf und sammelte innerhalb kürzester Zeit 4.000 Kinderbücher aus 14 Ländern.

„Lassen Sie uns bei den Kindern anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam ins Lot zu bringen. Die Kinder werden den Erwachsenen den Weg zeigen.“ (Jella Lepman)

 

Im Mittelpunkt der heutigen Arbeit steht die Überzeugung, dass Kinder- und Jugendbücher ein unverzichtbarer Teil des kulturellen Lebens einer Gesellschaft sind, den es zu bewahren, zu dokumentieren und zu vermitteln gilt. Der Bibliotheksbestand umfasst circa 660.000 Bücher in 250 Sprachen.

„Ein paar Meter Astrid Lindgren“

Unser Rundgang durch das Bücherschloss beginnt mit einer Frage, die uns Organisatorin Annkathrin stellt: „Habt ihr eine Idee, wo sich die vielen Bücher befinden könnten?“ Spontan antworte ich: „Vielleicht in einer Schatzkammer.“ Sie lächelt und deutet auf den mit Gras bewachsenen Boden des Schlossinnenhofes: „Sozusagen. Sie sind unter uns im Magazin. Das schauen wir uns jetzt an.“ Was für ein Geschenk an uns. Denn normalerweise kommt man in diesen Teil der Bibliothek als Besucher nicht rein. Nach zwei Türen und einigen Stufen stehen wir in einem Vorraum. Hier empfängt uns eine Bibliothekarin. Wir werden gebeten, Filzpantoffeln anzuziehen, um die Räumlichkeiten vor Staub und Schmutz zu schützen. Diese sind so groß, dass unsere Füße samt Schuhen bequem Platz finden und wir schlurfen neugierig in die heiligen Hallen.

Auf Filzsohlen geht es los

Der Geruch von altem Papier weht uns in die Nasen. Temperatur und Feuchtigkeit werden genau überwacht. Riesige Regale voll mit Büchern laden unsere Augen ein, die gar nicht wissen, wo sie zuerst hinschauen sollen. „Bitte nehmt kein Buch aus den Regalen. Ich hole sie euch gerne heraus. Aber wenn nur ein Buch an die falsche Stelle gerät, finden wir es niemals wieder.“, bittet uns die Bibliothekarin. Das glaubt man sofort, denn hier lagern sage und schreibe 420.000 Bücher in unterschiedlichen Sprachen.

Dieser wahnsinnige Buchbestand wurde in den Jahren 1949 bis 2018 gesammelt. Seit 2019 gibt es ein zweites Magazin in Puchheim. „Das reicht vielleicht noch 15 Jahre – je nachdem wie viele Bücher reinkommen. Danach müssen wir uns etwas neues überlegen.“, erklärt die Bibliothekarin. Alle vorhandenen Bücher stammen aus Spenden und werden von Lektoren der jeweiligen Ländersprache gesichtet. Wer ein Buch aus dem Magazin lesen möchte, muss es vorbestellen. Im Studiensaal darf man Zeit damit verbringen, mit nach Hause nehmen darf man es aber nicht. Einige Bücher sind allerdings (aus gutem Grund) für den Publikumsverkehr gesperrt. So gibt es zum Beispiel eine Sammlung an Kinderbüchern und -zeitschriften aus der NS-Zeit. Diese Stücke dürfen nur zu wissenschaftlichen Zwecken eingesehen werden.

Während wir von den Regalen und der Menge an Büchern beeindruckt sind, ist der Anblick für die Bibliothekarin wohl bekannt. Sie rechnet längst nicht mehr in Zahlen, sie rechnet in Metern: „Ein paar Meter Astrid Lindgren werden es schon sein.“

Ausstellungen in der Internationalen Kinderbibliothek

Die Räumlichkeiten der Internationalen Kinderbibliothek werden regelmäßig für Ausstellungen genutzt. Während unseres Besuchs fanden gleich drei statt, die wir ansehen durften.

Schurken, Hexen, üble Gestalten. Bösewichte in der internationalen Kinder- und Jugendliteratur

Kein packender Roman, kein spannendes Märchen kommt ohne üble Gegenspieler aus, die die Helden der Geschichten und die Leser das Fürchten lehren. Welche Rolle spielen diese teils schillernden Gestalten in den Geschichten? Was repräsentieren sie? Was macht ihre Faszination, vielleicht sogar ihren Charme aus? Diesen und anderen Fragen geht diese Ausstellung mit zahlreichen Beispielen aus der internationalen Kinder- und Jugendliteratur nach.

Migrations. Postkarten von Künstlern aus aller Welt

Auf der Suche nach Freiheit, Sicherheit und besseren Lebensbedingungen verlassen viele Menschen ihre vertraute Heimat und wagen eine oft gefährliche Reise ins Ungewisse, um für sich selbst und ihre Familien eine lebenswerte Zukunft zu finden. Für die Ausstellung Migrations. haben Illustratoren und Illustratorinnen aus aller Welt Postkarten zum Thema Migration entworfen, um Solidarität mit den Hunderttausenden Menschen zu zeigen, die sich in der heutigen Zeit solch gewaltigen Gefahren stellen. Bisher sind über 300 Postkarten entstanden, die eine breite Palette an Stilen und Stimmungen zeigen.

Kinder malen sich selber

Wie sehen Kinder sich selbst in Corona-Zeiten? Womit beschäftigen sie sich? Welche Ängste und Träume haben sie? Wie hat der Ausnahmezustand das Leben der Kinder und Jugendlichen verändert? In den vergangenen Monaten hat die Internationale Jugendbibliothek Kinder aus aller Welt eingeladen, sich selbst in dieser Zeit zu porträtieren.  Aus insgesamt 42 Ländern, von allen Kontinenten, haben Kinder und Jugendliche ihre Selbstbildnisse geschickt, die in der Ausstellung Kinder malen sich selber ausgestellt sind.

Nachlässe von Kinderbuchautoren

In der Internationalen Kinderbibliothek werden auch Nachlässe von Kinderbuchautoren (zum Beispiel Erich Kästner, Michael Ende und James Krüss) gesammelt. Aber auch einige quicklebendige Autoren nutzen die Möglichkeit hier besondere Stücke als Vorlass zu archivieren.

Der Nachlass von Erich Kästner

Da standen wir – voll mit Eindrücken der vorherigen Stationen des Rundgangs. Vor dem Schreibtisch von Erich Kästner. Der überlieferte Geruch nach Zigarettenrauch, der den Möbelstücken anhaftete, ist mittlerweile verflogen. Dennoch beginnt das Gedankenkarussell sofort und ich stelle mir Kästner bei der Arbeit vor. Welche seiner Werke wohl an dem Tisch entstanden sind. Ob er wohl ordentlich auf die Tischplatte schlug als er davon erfuhr, dass seine Bücher (alle außer Emil) verbrannt werden sollten.

Der Vorlass von Binette Schroeder

Zugegeben: die Illustratorin und Grafikerin Binette Schroeder hat mir vor meinem Besuch in der Bibliothek nichts gesagt. Der Bereich, in dem ihr Vorlass untergebracht ist, hat mich dafür um so mehr in seinen Bann gezogen. Von Schroeder selbst eingerichtet, fällt mir dazu nur ein Adjektiv ein: zauberhaft. Ich werde mich sicher weiter mit ihrer Arbeit beschäftigen.

Die Kinderbibliothek

Was wäre eine Bibliothek ohne einen Bereich zum Schmökern und Ausleihen – den gibt es natürlich auch. Das ist die letzte Station unseres Besuchs bei der Internationalen Jugendbibliothek. Die Kinderbibliothek oder kurz KiBi ist sehr liebevoll und gemütlich gestaltet. Mehrere Leseecken laden dazu ein, es sich gemütlich zu machen und sofort in eine Geschichte einzutauchen. Besonders ist hier natürlich die Sprachvielfalt, die übersichtlich mit Hilfe von Länderflaggen sortiert wird.

Mein Fazit zur Internationalen Jugendbibliothek

Die Zeit des Rundgangs war zu kurz, um wirklich alles zu sehen. Was wir gesehen haben, hat mich sehr beeindruckt. Die besondere Atmosphäre wirken auch noch einen Tag später nach. Ein Besuch in diesem wahrhaftigen Bücherschloss lohnt sich. Wer in München wohnt und sich für Kinder- und Jugendliteratur interessiert und/oder Kinder hat, sollte es sich nicht entgehen lassen, einen Blick hinter die Schlossmauern zu werfen, in Büchern zu blättern und  Eindrücke zu sammeln.

Autor

Als ich klein war, konnte ich es nicht abwarten, endlich selber lesen zu können. Ich liebte es sehr, wenn meine Eltern mir aus Büchern vorlasen. Aber es reizte mich, es ihnen gleich zu tun und selbst die gedruckten Wörter zu einer Geschichte zusammenzusetzen. Nachdem ich endlich lesen gelernt hatte, verschlang ich ein Buch nach dem anderen. 2016 bin ich Mutter geworden und ich möchte meiner Tochter Sina die Welt der Bücher eröffnen wie sie einst mir geöffnet wurde.

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